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Die Zukunft des Genderns

Zuletzt geändert am 9. Februar 2023


In meinen Workshops werde ich immer wieder gefragt, welche Art zu gendern denn nun die „richtige“ ist. Ob es irgendwann eine Entscheidung für eine Variante geben wird und welche meiner Meinung nach das Rennen machen wird. Vor allem auch: Wann gibt es endlich eine einheitliche Regelung, damit wir uns mit dem Thema nicht länger befassen müssen? Lass uns in diesem Beitrag ein wenig in die Zukunft des Genderns schauen! Aktuelle Entwicklungen, Trends und Orientierungshilfen durch die Vielfalt geschlechtergerechter Sprachformen fasse ich hier für dich zusammen.

Gendergerechte Sprache: der aktuelle Stand

Verständlicherweise wünschen wir uns alle eine einfache Lösung für die geschlechtergerechte Sprache – so wie vermutlich für viele Probleme unseres Alltags und der Gesellschaft. Die gibt es aktuell nicht und vielleicht wird es sie niemals geben. Nach wie vor gilt jedenfalls: Es gibt beim Gendern kein Richtig oder Falsch. Wir befinden uns mitten in einem Aushandlungsprozess, der bislang nicht abgeschlossen ist. Es gibt keine festen Regeln zum Gendern und eine große Vielfalt an Varianten. Auch weil geschlechtergerechte Sprache, anders als oft behauptet, eben nicht „von oben“ kommt.

Viele verschiedene Ideen haben sich aus unterschiedlichen Richtungen entwickelt – wie der Frauenbewegung oder der queeren Community. In den letzten 50 Jahren haben sich Haltungen, Motive und Umsetzung hinsichtlich des Genderns immer wieder verändert. Auch international gibt es verschiedene Herangehensweisen an das Thema, die natürlich eng verwoben sind mit der jeweiligen Kultur und Sprache.

Vor- und Nachteile aktueller Herangehensweisen

Auch Sprachwissenschaftler*innen sind sich nicht einig darüber, ob und welche Formen geschlechtergerechter Sprache sinnvoll sind oder sich durchsetzen werden. Verschiedene Studien zeigen jedoch, dass sich das Gendern (und Nicht-Gendern) auf unsere Wahrnehmung auswirkt. Wir assoziieren mit männlichen Personenbezeichnungen eher Menschen männlichen Geschlechts. Kinder trauen sich männlich geprägte Berufe eher zu, wenn die Bezeichnungen gegendert werden. Geschlechtergerechte Sprachformen machen Texte nicht nachweislich von Grund auf schlechter verständlich.

Gleichzeitig gibt es keine Art zu gendern, die inklusiv für alle ist, also alle einschließt. Es gibt Menschen, die nicht von einem Sternchen oder angehängtem -innen repräsentiert werden wollen. Männer, die sich plötzlich benachteiligt fühlen. Personen, die sich für eine vollkommen geschlechtsneutrale Sprache einsetzen, durch die Geschlecht als Kategorie weniger relevant werden soll. Viele Arten zu gendern sind nicht barrierefrei. Die Anwendung geschlechtergerechter Sprache erfordert Umdenken und Umlernen, damit Texte zugleich genderinklusiv UND gut lesbar bleiben.

Widerstand vs. Verbreitung des Genderns

Wie wir alle wissen, erzeugt das Gendern großen Widerstand. Die einen wollen es verbieten. Andere beschimpfen und bedrohen Menschen auf völlig unverhältnismäßige Weise dafür, dass sie ein Gendersternchen nutzen. Gleichzeitig wird es immer gängiger, geschlechtergerecht zu kommunizieren. Der Duden führt seit 2021 zu jeder männlichen auch die passende weibliche Form auf. Und selbst in öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen wird mündlich gegendert.

Zusammengefasst kann der aktuelle Stand beim Gendern ziemlich verwirrend wirken. Manche Varianten verschwinden, andere bürgern sich ein und es entstehen immer wieder neue. Die Debatte um geschlechtergerechte Sprache wird hitzig und emotional geführt, selten gelingt es, sachlich zu bleiben. In meinen Trainings nimmt der Umgang mit Hate, Skepsis und eigenen Widerständen manchmal mehr Raum ein als alles andere. Wie soll das weitergehen?

Die gängigsten Arten zu gendern

Ideen zu einer geschlechtergerechten Sprache entwickeln sich seit Jahrzehnten aus unterschiedlichen Richtungen. Deshalb gibt es auch so viele verschiedene Ansätze. In meinen Workshops gehe ich vor allem auf die aktuell gängigsten Arten zu gendern ein:

  • die Paarform
  • Binnen-I und Schrägstrich
  • neutrale Formulierungen
  • das Prinzip der Rollenverteilung
  • den Gender-Gap (Sternchen, Unterstrich etc.)

Hier kann sich immer wieder etwas verändern. Binnen-I und Schrägstrich, die „Senior*innen“ unter den Arten zu gendern, sind schon seit einiger Zeit immer seltener zu sehen. Die Paarform oder auch Doppelnennung hält sich weiterhin wacker: Von Leserinnen und Lesern ist noch häufig zu lesen. Aber auch hier gibt es ein Umdenken. Spätestens seit der Einführung des Geschlechtseintrags „divers“ ist es in Deutschland eigentlich notwendig, alle Geschlechter einzuschließen. Dass das mehr als zwei sind, ist schließlich schon mal offiziell anerkannt, auch wenn es noch viele Hürden für jene gibt, die den Geschlechtseintrag wollen.

Zunehmend etabliert sich deshalb der Gender-Gap – wieder häufiger mit Sternchen, nachdem der Doppelpunkt in die Kritik geraten ist. Diese Variante lässt sich mischen mit neutralen Formulierungen, dem Prinzip der Rollenverteilung und anderen Strategien für bessere Lesbarkeit beim Gendern.

Neue Formen des Genderns und ihre Zukunft

Zuletzt habe ich auch bei Zielgruppen, von denen ich das nicht so kannte, ein größeres Interesse an Neopronomen, nichtbinären Lebensrealitäten und geschlechtsneutraler Ansprache festgestellt. In diese Richtung gehen viele neuere Ideen. Statt zu versuchen, alle Geschlechter einzeln abzubilden (und das möglichst gleichberechtigt), tendieren Neuentwicklungen eher zu geschlechtsneutralen Varianten. Hier gibt es verschiedene Ansätze, beispielsweise:

  • das Phettberg-y: Kundy, Lesys
  • ens-Endung: „Kundens“, „Lesens“
  • x-Endung: Kundx, Lesx
  • *-Endung: Lieb* Kim
  • neutrale Pronomen: xier, sier, dey, …

Natürlich gibt es noch weitere mehr und weniger bekannte – hier lohnt es, sich hin und wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Ob Formen wie diese eine Zukunft haben, ist umstritten. Je größer der Eingriff in die bisherige Sprache, desto schwieriger die Umsetzung und Etablierung.

Sprache entwickelt sich durch Sprachgebrauch. Auch ein in sich logisches, ausgeklügeltes theoretisches Modell mit ausführlicher Grammatik lässt sich der Realität nicht einfach überstülpen. Letztendlich sind wir alle es, die unsere Sprache weiterentwickeln. Wir entscheiden, wie wir kommunizieren wollen und welche Form geschlechtergerechter oder -neutraler Sprache wir verwenden. Erst in der Praxis und mit der Zeit wird sich zeigen, ob neuere Arten zu gendern oder alternative neutrale Pronomen funktionieren, angepasst werden müssen oder vielleicht auch wieder von der Bildfläche verschwinden. Ähnlich beschreibt es auch Entwickler_in der Xier-Pronomen Illi Anna Heger.

Wichtig ist jedoch, individuelle Selbstbezeichnungen zu respektieren. Nutzt eine Person bestimmte Pronomen und Ansprache für sich, wendest du diese auch an, wenn du über diese Person und mit ihr sprichst.

Empfehlungen & Regeln fürs Gendern – was kommt auf uns zu?

Nun ist geschlechtergerechte Sprache nicht mehr nur eine individuelle Entscheidung. In manchen Kontexten gelten Vorgaben und Regelungen, an die wir uns als Arbeit- und Auftragsnehmer*innen halten müssen. Unternehmen und andere Organisationen entwickeln immer häufiger Richtlinien und Leitfäden zum Gendern als Teil der Corporate Language. Manche sprechen Empfehlungen aus, andere entscheiden sich für eine bestimmte Variante oder verbieten geschlechtergerechte Formulierungen sogar.

Dann gibt es noch die gesetzlichen Vorgaben. Die Gleichstellung der Geschlechter ist sowohl im Grundgesetz als auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) festgelegt. So müssen beispielsweise Stellenanzeigen mindestens mit dem Hinweis „m/w/d“ versehen sein. Bisher reicht das aus, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten, auch wenn die Personenbezeichnungen im Text nicht inklusiv gegendert sind. Doch darin sieht die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bereits ein Diskriminierungsrisiko.

Auch die Anrede, Formulare und Ähnliches sollten so gestaltet sein, dass sie alle Geschlechter einbeziehen. Wurde die Klage gegen das generische Maskulinum in Vordrucken der Sparkasse 2018 noch vom Bundesgerichtshof abgewiesen, sieht das inzwischen schon anders aus: 2022 hatte eine Klage gegen die Deutsche Bahn Erfolg, die bis dahin auch nichtbinären Menschen im Buchungssystem nur die Wahl zwischen den Anreden „Herr“ und „Frau“ gelassen hatte.

Und wie sieht es mit der amtlichen Rechtschreibung aus? Gendergerechte Sprache mit Sonderzeichen oder alternativen Endungen entsprechen bislang nicht den Rechtschreibregeln. Der deutsche Rechtschreibrat hat jedoch schon zweimal darüber getagt, ob das Gendersternchen ins Regelwerk mit aufgenommen werden soll – sich aber noch nicht dafür entschieden.

Du siehst: Hier ist alles noch im Fluss. Die Empfehlungen, gesetzlichen und internen Regelungen können sich ändern. Deshalb ist es so wichtig, sich regelmäßig auf den aktuellen Stand zu bringen und zu fragen: Kommuniziere ich geschlechtergerecht? Ist meine gewählte Art zu gendern zeitgemäß und entspricht den aktuellen Empfehlungen? Was könnte ich künftig noch optimieren oder anders angehen?


Vortrag Gendern

auf weißem Hintergrund steht der Text: Vortrag: Gendern. Sicher umgehen mit komplexen Sätzen, Sternchen und Pronomen. Rechts ist ein Porträtfoto von Lucia zu sehen. Am oberen Rand des Bildes befinden sich goldene Sternchen. Oben rechts das LCR-Logo in Dunkelblau.

Du möchtest in Zukunft gendern und fragst dich, wie du es angehst? Dann komm gern zu meinem Vortrag zum Thema:

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Wie werden sich die Debatten um das Gendern weiterentwickeln?

Die einen wollen das Gendern verbieten, andere dazu verpflichten. Und dazwischen gibt’s natürlich auch noch eine große Bandbreite an Haltungen und Meinungen. Medial abgebildet werden allzu oft nur die Extreme. Öffentliche Genderdebatten scheinen mehr der Unterhaltung zu dienen als echtem Austausch. Dass sie so große Reibung erzeugen, zeigt aber auch, dass geschlechtergerechte Sprache und Vielfalt wertschätzende Kommunikation keine Randthemen mehr sind. Kaum ein Unternehmen oder eine Organisation kommt heute daran vorbei, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen.

Was das für die Zukunft des Genderns bedeutet? Wieder gibt es dazu verschiedene Prognosen und Ideen. Eindeutig scheint, dass Sprache und gesellschaftlicher Wandel sowie auch Sprache, Denken und Handeln miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig beeinflussen. So wäre in einer geschlechtergerechten Welt das Gendern überhaupt kein Thema. Gleichzeitig sorgen Sprachen, in die Geschlecht weniger stark eingeschrieben ist, nicht automatisch für eine geschlechtergerechte Kultur. Erwiesen ist jedoch, wie weiter oben beschrieben, dass Gendern unsere Wahrnehmung verändern kann.

Grob gesagt lassen sich aktuelle Varianten des Genderns in zwei Kategorien einteilen – mögliche Richtungen, in die sich geschlechtergerechte Sprache weiterentwickeln kann. Auf der einen Seite stehen Formen wie der Gender-Gap, die sichtbar mehrere Geschlechter einschließen. Sie schaffen Sichtbarkeit und Bewusstsein für Geschlechtervielfalt. Auf der anderen Seite sind die geschlechtsneutralen Varianten, bei denen das Geschlecht der beschriebenen Personen keine Rolle spielt.

Schlechte Aussichten fürs generische Maskulinum

Hier sind einige Vorstellungen über die Zukunft des Genderns, die vielleicht Realität werden könnten:

  • Das Gendersternchen könnte sich zunächst als Variante durchsetzen, die lange unsichtbaren Personengruppen Sichtbarkeit verschafft sowie auf Ungerechtigkeiten und Diskriminierung bezüglich des Geschlechts hinweist.
  • Wäre vollkommene Geschlechtergerechtigkeit in der Gesellschaft eines Tages erreicht, bräuchte es keine geschlechtsbetonenden Sprachformen mehr – vielleicht würden dann neutrale Formulierungen, das generische Maskulinum oder etwas ganz anderes das Sternchen ablösen.
  • Möglich wäre auch, dass geschlechtsneutrale Formen an Bedeutung gewinnen, während die Grenzen zwischen einzelnen Geschlechterkategorien aufgebrochen werden, verschwimmen und die Abgrenzung über das Identitätsmerkmal Gender unwichtiger wird.

Zurück in die Vergangenheit geht es jedenfalls nicht mehr – zumindest ist unwahrscheinlich, dass sich in naher Zukunft mal eben wieder das generische Maskulinum durchsetzen wird. Genauso wenig ist jedoch ein Ende in Sicht, was den Sprachwandel hin zu einer geschlechtergerechten Kommunikation betrifft. Sprache hat sich immer verändert und wird es weiterhin tun – beeinflusst von aktuellen Geschehnissen, gesellschaftlichem Wandel, Kultur, Bildung, Technik usw.

Veränderung braucht Zeit, Raum und Überzeugung

Du siehst: Geschlechtergerechte Sprache ist nichts Statisches, das sich einfach so festlegen lässt. Schon gar nicht von mir, deiner Trainer*in. Es gibt (aktuell) keine einzig wahre und richtige Wohlfühl-Variante, die inklusiv für alle ist und niemanden ausschließt. Eine konkretere Antwort auf die Frage, welche Art zu gendern „richtig“ ist oder sich durchsetzen wird, kann ich nicht geben.

Häufig wollen Teilnehmende meiner Workshops und Vorträge oder Social-Media-Follower*innen wissen, warum ich diese und jene „schlechte“ Art zu gendern mitbenenne, ob ich nicht einfach die beste Variante empfehlen kann oder wie die Zukunft des Genderns meiner Vorstellung nach aussehen „sollte“.

Doch meine persönliche Meinung bringt dir gar nichts. Es liegt in deiner Verantwortung, zu entscheiden, was für deine Situation angemessen ist und welche Art zu gendern du letztlich in deinen Texten und deiner Sprache nutzt. Ich unterstütze dich gern dabei mit meinem Wissen und meiner Erfahrung als Texterin, Autorin und Trainerin mit Einblick in viele verschiedene Branchen. Gehen musst du den Weg der Veränderung dann schon selbst.

Fazit: Wie wird sich geschlechtergerechte Sprache weiterentwickeln?

Was in Zukunft mit dem Gendern passiert, bleibt abzuwarten. Vieles ist möglich! Zu Beginn meiner Arbeit hätte ich auch nicht gedacht, dass heute in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten gegendert wird und die Nachfrage zu diesem Thema so groß ist.

Viele wünschen sich klarere Antworten, Regeln und Entscheidungen für die Zukunft des Genderns. Das ist verständlich. Leider gibt es oft keinen einfachen Weg und der einfachste ist nicht unbedingt der beste. Gerade die Vielfalt des Möglichen kann auch bereichern! Öffnen wir uns dem Ungewissen, dem unwegsamen Gelände und finden wir den Mut, uns selbst Handlungsspielraum zuzugestehen. Vielleicht brauchen wir gar nicht immer feste, alte, starre Regeln? Ich arbeite lieber mit Argumenten, Sensibilisierung sowie emotionalen und kreativen Zugängen.

Was glaubst du – wie wird die Zukunft des Genderns aussehen? Schreib es in die Kommentare!

Zum Weiterlesen

Quarks.de: Was gendern bringt – und was nicht

BR-Doku: Zukunft der Sprache – was bringt Gendern wirklich?

Illi Anna Heger: Xier-Pronomen ohne Geschlecht

Übersicht verschiedener Neo-Pronomen mit Deklinationstabellen und Beispielen

Lann Hornscheidt, Ja’n Sammla: Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? Ein Praxis-Handbuch zu Gender und Sprache (Buch)

Lucia Clara Rocktäschel: Richtig gendern für Dummies (Buch)

Wissenschaftliche Quellen und Studien

Elke Heise: Sind Frauen mitgemeint? Eine empirische Untersuchung zum Verständnis des generischen Maskulinums und seiner Alternativen. In: Sprache & Kognition, 2000.

Lisa Irmen, Nadja Roßberg: Gender Markedness of Language: The Impact of Grammatical and Nonlinguistic Information on the Mental Representation of Person Information. Journal of Language and Social Psychology, 23(3), 2004.

Friederike Braun et al.: Können Geophysiker Frauen sein? Generische Personenbezeichnungen im Deutschen. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik, Januar 1998.

Friederike Braun et al.: „Aus Gründen der Verständlichkeit…“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Psychologische Rundschau, 58 (3), 183–189, 2007

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