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Wozu brauchen wir Vielfalt wertschätzende Sprache?

Hintergrundbild: Blaue Steine in Form verschiedener Buchstaben liegen kreuz und quer. Hellblaue Bauchbinde mit dem Text:´Warum brauchen wir eine Vielfalt wertschätzende Sprache?

Zuletzt geändert am 12. Juli 2022


Ich werde oft gefragt, ob es nicht drängendere Probleme auf der Welt gibt als „diesen Genderquatsch“. Sprache sei schließlich nur Sprache. Und da draußen warten doch wichtigere Dinge, für die es sich viel mehr zu kämpfen lohnt als für eine Vielfalt wertschätzende Sprache! Was ist mit „echter“ Gewalt, „tatsächlicher“ Diskriminierung, Kriegen, hungernden Kindern, bösen Machthaber*innen, unfairen Lebens- und Arbeitsbedingungen? Wiegen die alle zusammen nicht so viel, dass Sprache völlig irrelevant wird? Oder hat Sprache vielleicht doch einen größeren Einfluss auf ebenjene wichtigeren Probleme, als einige Menschen zugeben wollen?

Diesen Fragen werde ich in diesem Artikel nachgehen, nicht auf eine wissenschaftliche Weise, sondern auf einem persönlichen, erfahrungsbasierten und praxisnahen Wege. Am Ende verlinke ich dir aber noch andere Quellen, die dir weitere Perspektiven aufzeigen können. Ich freue mich auch auf deine Meinung in den Kommentaren!

Mein Standpunkt: Geht Vielfalt wertschätzende Sprache zu weit?

Als Diversity-Trainerin und Texterin, die sich auf Vielfalt wertschätzende Sprache spezialisiert hat, bin ich möglicherweise ein wenig voreingenommen, stimmt’s? Ich bin berufsbedingt einigermaßen sensibilisiert für diskriminierende Sprache und ihre Alternativen. Doch gerade durch meine Arbeit gerate ich immer wieder ins Zweifeln. Da ich einerseits mit Menschen zu tun habe, die sich noch nicht oder nur ein bisschen mit Diversity und Inklusion beschäftigt haben, und andererseits bei jedem sprachlichen Fehltritt wütende Nachrichten von Aktivist*innen bekomme, stecke ich in einem ständigen Prozess des Hinterfragens.

Während ich 2020 am Manuskript meines ersten Buches geschrieben habe, bin ich eines Nachts tatsächlich aufgewacht und habe mich gefragt, ob ich Gendern eigentlich wirklich für sinnvoll halte, weil es manchmal doch wahnsinnig kompliziert ist und ich mich mit hanebüchenen Satzkonstruktionen und deren Auflösung herumschlagen musste. (Ich bin letztlich zu dem Schluss gekommen, dass es bisher zwar keine „ideale“ Form des Genderns gibt, es aber trotzdem wichtig ist, alle Geschlechter einzubeziehen.) Und manchmal erwische ich mich auch beim Seufzen über die Problematik eines weiteren Begriffs, von der ich bisher noch nicht wusste. Neulich habe ich beispielsweise einen Twitter-Thread gelesen, in dem diskriminierungsfreie Schimpfwörter gesucht und die Vorschläge auf Herz und Nieren geprüft wurden. Nun, was soll ich sagen, die allermeisten Schimpfwörter haben es nicht überlebt.

Was ich dir damit vermitteln will: Ich verstehe durchaus die Menschen, die sich dieser Tage über eine „Cancel-Culture“ aufregen. Ich kann den Unmut nachvollziehen, aber ich glaube, er liegt darin begründet, dass diese Debatte so emotional geführt wird – warum das durchaus verständlich ist, erfährst du in meinem Artikel zum Thema Tone-Policing. Es gibt aber auch Menschen, die gezielt scharf aburteilen und beschämen.

Demgegenüber stehen jedoch viele, viele Menschen, die geduldig und sachlich aufklären – ohne Keule. Und genau diese Unaufgeregtheit und Fehlerfreundlichkeit, über die ich schon einen eigenen Artikel verfasst habe, braucht es meiner Meinung nach, um wirklich verständlich zu machen, was eine Vielfalt wertschätzende Sprache so wichtig macht. Dabei geht es nicht darum, Tone-Policing zu betreiben oder Emotionen zu unterdrücken – diese sind schließlich essenziell für eine empathische Kommunikation. Doch es ist wichtig, sie auch zu reflektieren und im jeweiligen Kontext zu betrachten: Ist jemand ehrlich wütend und verletzt, vielleicht aus eigener Betroffenheit? Oder handelt es sich um eine Person, die regelmäßig andere herabwürdigt, nur um sich selbst besser zu fühlen?


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Denken, Sprechen, Handeln – so hängt alles zusammen

Wie genau Sprache unser Denken und Handeln beeinflusst, können andere viel besser erklären – wirf dazu einfach mal einen Blick auf die weiterführenden Links am Ende dieses Artikels. Dunkel erinnerst du dich aus der Schule vielleicht noch an das Kommunikationsmodell mit den vier Seiten einer Nachricht, den vier Schnäbeln und den vier Ohren von Schulz von Thun? Da gibt es eine Sach-, eine Selbstoffenbarungs-, eine Beziehungs- und eine Appellebene. Grob gesagt kann das, was wir sagen, vom Gegenüber anders verstanden werden als wir es eigentlich gemeint haben. So entstehen viele Missverständnisse, die zum Beispiel Debatten wie die um eine Vielfalt wertschätzende Sprache so emotional aufladen.

Doch manche Wörter werden nicht nur „nicht so gemeint“ und „falsch verstanden“, also zum Missverständnis, sondern haben ihrerseits schon eine negativ behaftete Geschichte oder ursprüngliche Bedeutung, werten ab oder werden in problematischen Kontexten verwendet, zum Beispiel als Schimpfwörter. Diese Wörter können diskriminierend sein, obwohl du es nicht so gemeint hast. Sie werden nicht weniger diskriminierend, nur weil du ihre Wirkung und Bedeutung nicht kennst. Wenn du darauf aufmerksam gemacht wirst, dass du so ein schlimmes Wort gesagt hast, heißt das natürlich nicht automatisch, dass du ein schlechter Mensch bist. Dennoch ist es nicht in Ordnung, wissend Wörter zu verwenden, die andere verletzen. Statt also in Schuldgefühlen zu versinken, solltest du dich darüber informieren, warum du dieses Wort nicht nutzen solltest und was du stattdessen sagen kannst.

Aus Gedanken werden Worte, aus Worten folgen Taten und Taten haben Konsequenzen. Unsere Sprache beeinflusst unser Handeln, aber das Handeln beeinflusst auch die Sprache, wenn über es gesprochen wird. Worte können bereits Taten sein – zum Beispiel können sie ein Lob überbringen oder auch eine Verletzung zufügen. Menschen, die miteinander leben, kommunizieren auch – über Sprache. Irgendwie ist die Sprache also untrennbar mit dem Leben und all den „wichtigeren“ Dingen verwoben. Sie hat eine Macht, die du nicht unterschätzen solltest…

Die Macht der Sprache

Kann Vielfalt wertschätzende Sprache wirklich die Welt verändern? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt und ich verstehe gut, dass sie auch dir auf den Lippen brennt. Deshalb finde ich es, obwohl es manchmal ermüdend ist, eigentlich überhaupt nicht schlimm, danach gefragt zu werden, ob Vielfalt wertschätzende Sprache den Einsatz wert ist. Aber die Antwort ist, das ist mir in den letzten Wochen wieder klar geworden: JA! Jeder Mensch, der jemals emotional missbraucht, gemobbt oder mit Sprache erniedrigt wurde, weiß, wovon ich spreche. Ich weiß, wovon ich spreche. Ein einziger wertschätzender Satz kann alles verändern, egal wie viele abwertende Worte du in deinem ganzen Leben schon gehört hast. Wenn du deine Zielgruppe in ihrer individuellen Vielfalt ernsthaft wertschätzt und das auch ausdrückst, kannst du dir ihrer Loyalität und Treue sicher sein.

Sprache ist ein Geschenk, das ich persönlich schon früh mit offenen Armen in Empfang genommen habe (Laufenlernen und Zähnekriegen konnten warten). Aber Sprache kann auch gefährlich sein. Sprache hat viele Gesichter. Wertschätzende, empowernde, wutverzerrte, hasserfüllte, glückliche, traurige, emotionale, sachliche und eiskalte. Du brauchst keine Stimme, um zu sprechen, keine Ohren, um zu hören, keinen Stift mehr, um zu schreiben, keine Augen, um zu lesen. Das verdanken wir den Fortschritten in Sachen Barrierefreiheit und dem Internet. Sprache ermächtigt. Aber wenn Macht etwas Gutes bewirken soll, muss sie verantwortungsbewusst eingesetzt werden. An diesem Verantwortungsbewusstsein für Sprache mangelt es vor allem online in den sozialen Medien, aber auch an anderer Stelle – zum Beispiel in Marketing und Werbung.

Wie schreibe und spreche ich Vielfalt wertschätzend?

Du kennst jetzt meine Einschätzung zur Relevanz Vielfalt wertschätzender Sprache. Aber wie setzt du diese um? Erste Anhaltspunkte findest du in meinem Artikel zum Diversity-Selbst-Check deiner Sprache. Außerdem helfen mir diese Tipps, wenn es darum geht, den eigenen Horizont zu erweitern:

  • Folge Menschen, die anders sind als du – ganz nach dem aktuell beliebten Motto „Diversify your Feed“ – und versuche dich auch im Real Life mit vielfältigen Menschen zu umgeben. Komme ins Gespräch, beobachte, lerne und spüre, wie deine Berührungsängste von dir abfallen! Deine Sprache anzupassen, ist dann plötzlich ganz leicht.
  • Informiere dich über diskriminierende Strukturen und ihre Auswirkungen auf die Sprache. Da gibt es so einige: Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Sexismus, Ableismus, Adultismus, Ageismus, Klassimus oder Linguizismus sind nur einige Diskriminierungsformen.
  • Fange mit einer kleinen Veränderung an – zum Beispiel dem Gendern – aber denke trotzdem ganzheitlich. Du musst nicht sofort alles richtig machen, doch Schritt für Schritt kommst du deinem Ziel schließlich immer näher. Hab Geduld und lass dich von Hater*innen oder Moralaposteln nicht beirren.
  • Erstelle dir eine Liste mit diskriminierenden oder problembehafteten Wörtern, die in deinem Wortschatz noch fest verankert sind, und schreibe wertschätzende Alternativen auf. Lagere diese Liste so, dass du sie am Schreibtisch oder auf dem Bildschirm immer schnell parat hast.
  • Nimm Kritik zu deiner Sprache an und versuche zu verstehen, warum diese berechtigt ist. Du solltest niemals einfach blind Wörter aus deinem Wortschatz verbannen, ohne zu wissen, wo das Problem liegt – denn das führt schnell zu Frustration.

Es gibt viele Wege, Vielfalt wertschätzend zu kommunizieren:

Wenn du Hilfe brauchst, schreib mich gerne an oder buche dir ein kostenloses Erstgespräch. Ich unterstütze dich gern dabei, deine Kommunikation Vielfalt wertschätzender zu gestalten – mit Texten, Diversity-Training und Beratung.

Weiterführende Quellen

Wie versprochen verlinke ich dir jetzt noch einige interessante Texte, über die ich bei meiner Recherche gestolpert bin. Ergänze die Liste gerne in den Kommentaren!

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