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Seelische Gesundheit und Diversity: Erfahrungen, Fakten & Tipps

Mental Health & Diversity: Erfahrungen, Fakten und Tipps zu seelischer Gesundheit

Zuletzt geändert am 13. Januar 2022


Heute ist internationaler Mental Health Day. Was das mit Vielfalt zu tun hat? Eine ganze Menge! In das Schema der 7 Dimensionen von Diversity würden sich psychische Erkrankungen am ehesten unter Behinderung einordnen lassen. Denn Mental-Health-Probleme können eine seelische Behinderung sein. Aber weil sich ein so weitreichendes Thema wie Vielfalt schwer kategorisieren lässt, solltest du immer auch über das Dimensionen-Schema hinausschauen.

Warum beschäftigt sich ein Business-Blog mit psychischen Problemen? Da hast du auch schon die Antwort: weil im beruflichen Kontext bisher so selten darüber gesprochen wird. Dabei können Unternehmen stark profitieren, wenn sie mit Angestellten oder Dienstleister*innen zusammenarbeiten, die sich mit ihrer seelischen Gesundheit schon einmal auseinandersetzen mussten. Sie sind reflektierter, offener und bringen spannende neue Perspektiven mit. Weil sie selbst erlebt haben, wie es ist, anders zu ticken als es die Mehrheit für normal hält.

Sind psychisch Kranke überhaupt geschäftsfähig?

Zu Beginn meiner Selbstständigkeit stieß ich in einer Facebookgruppe auf einen Thread, in dem es darum ging, die Angst vorm Telefonieren zu überwinden. Da konnte ich einige Tipps beitragen, schließlich habe ich neben dem Studium extra in einem Call Center gearbeitet, um mit dieser Angst umgehen zu lernen. Es gab viel wertschätzenden Austausch zu dem Thema. Aber wie das so ist – eine Person musste dringend einwerfen, dass man sich eben nicht selbstständig machen sollte, wenn man Angst vorm Telefonieren hat.

Ich antwortete ihr ungefähr so: Es ist ja nicht so, dass wir nicht telefonieren können. Vielmehr geht es darum, es uns leichter zu machen. Der eine nimmt einfach den Hörer in die Hand und legt los. Die andere schreibt sich vorher lieber auf, was sie sagen möchte (so mache ich das). Und wieder andere kriegen Herzklopfen und Schweißausbrüche und müssen sich nach dem Telefonat erstmal kurz ausruhen (ich früher). Am Ende kommen alle zum selben Ziel, nur eben auf unterschiedlichen Wegen.

Die Person meinte darauf, das sei nicht normal. Das müsse psychologisch behandelt werden. Dann sei man vielleicht gar nicht geschäftsfähig. Autsch, das hat gesessen. Aber hey, ich bin seit über einem Jahr selbstständig und lebe davon – trotz Ängsten. 😉

Nur sehr wenige psychische Erkrankungen machen geschäftsunfähig

Aber nochmal zurück zum Wort „geschäftsfähig“. Grundsätzlich sind laut Gesetz alle erwachsenen Menschen voll geschäftsfähig. Nur bei einer Krankheit, die eine freie Willensbestimmung dauerhaft unmöglich macht, kann ein Mensch geschäftsunfähig werden. Das ist bei weitem nicht bei allen seelischen Problemen so. Und ob du geschäftsfähig bist oder nicht, entscheidet ein Arzt*eine Ärztin, nicht irgendjemand auf Facebook.

Menschen, die offen zu ihren psychischen Problemen stehen, werden oft nicht ernstgenommen, respektlos behandelt, für unzurechnungsfähig gehalten und bekommen in vielen Branchen keine Chance auf dem Jobmarkt. Erwerbsunfähige werden als faul bezeichnet, wenn sie keine körperliche Einschränkung haben. Bis einer mit Burnout kommt – das ist dann wieder ganz angesehen, weil es das Ergebnis maximaler Leistung ist. Trotz Mental-Health-Trend auf Instagram – im echten Leben werden psychisch kranke Menschen immer noch stigmatisiert.

Verabschieden wir uns doch bitte mal von den Vorstellungen von vor 200 Jahren. Psychiatrien sind nicht mit den Irrenhäusern aus Horrorfilmen vergleichbar – auch wenn einige Einrichtungen noch immer fragwürdige Praktiken anwenden. Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) sind 27,8 % der Bevölkerung in Deutschland jedes Jahr psychisch erkrankt. Und die verstecken sich nicht alle in ihrem Zimmer oder irgendwelchen Kliniken. Sie leben neben dir. Leider haben jedoch immer noch viele Menschen Angst, von ihren Erfahrungen zu berichten.

Mental Health & Diversity: Erfahrungen, Fakten und Tipps zu seelischer Gesundheit

Wie kann ich Menschen mit seelischen Problemen integrieren?

Psychische Erkrankungen sind mit 37 % der häufigste Grund, aus dem Menschen berufsunfähig werden. Einige davon sind im Alltag tatsächlich so stark eingeschränkt, dass sie keine berufliche Tätigkeit ausüben können. Aber wenn sich die Arbeitswelt besser auf seelisch beeinträchtige Menschen einstellen würde – wie viele könnten dann vielleicht doch einen Job finden?

Vielleicht denkst du jetzt: Ich verstehe deinen Standpunkt, aber psychisch kranke Menschen sind unzuverlässig, leistungsschwächer und fallen ständig aus. Warum sollte ich sie einstellen? Ich rate dir: Lerne Betroffene kennen und verstehen, sprich mit ihnen, sei offen und hinterfrage, ob deine pauschalisierende Einstellung wirklich auf alle zutrifft.

Menschen mit Mental-Health-Problemen sind möglicherweise auch:

  • einfühlsam
  • reflektiert
  • selbstkritisch
  • aufgeschlossen
  • mutig
  • achtsam
  • ehrgeizig
  • selbsterfahren
  • stark

Viele psychische Erkrankungen entstehen nicht einfach so. Sie sind die Folge äußerer Einflüsse, einschneidender Erlebnisse oder auch gesellschaftlichen Drucks. Menschen mit seelischen Problemen sind nicht nur Vorurteilen von anderen, sondern auch inneren Zweifeln ausgesetzt. Beides zusammen kann einen ganz schön verunsichern. Dabei haben sie ganz sicher keine schwachen Nerven, sondern solche, die mehr aushalten, als manche*r sich vielleicht vorstellen kann. Genau davon kannst du profitieren. Und Betroffenen ermöglichen, (wieder) aktiv am Leben teilzunehmen!

Für meine Branche kann ich nur sagen: Vielen Menschen hilft es, kreativ mit ihren Problemen umzugehen. Sie zeichnen, designen, musizieren, basteln, entwerfen… Ich habe mich frei geschrieben. In stressigen Situationen behalte ich den Kopf über Wasser, während andere in Panik verfallen. Ich habe immer einen kreativen Einfall, wenn es ein Problem zu lösen gilt. Meine Kund*innen schätzen meine Empathie, meine Macherin-Mentalität und meine Offenheit für kontroverse Fragen und unkonventionelle Ideen. Und ich bin nur ein Beispiel.


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Was Unternehmen tun können

Zum Schluss möchte ich dir noch ein paar konkrete Tipps geben, wie du Menschen mit seelischen Problemen am besten in dein Unternehmen integrierst. Denn um ihr Potenzial nutzen zu können, musst du die entsprechenden Arbeitsbedingungen schaffen. Klar kann es vorkommen, dass deine Mitarbeiterin sich mental schlecht fühlt und nicht zur Arbeit kommen kann – so wie wir alle uns hin und wieder erkälten. Aber die äußere Umgebung kann schon mit wenigen Mitteln dazu beitragen, dass ihr beide besser damit umgehen könnt.

Tipps für den Businessalltag

  • Biete Home Office an. Davon profitieren auch die übrigen Kolleg*innen, die vielleicht Kinder haben, Handwerker*innen erwarten oder nur leicht angeschlagen sind, aber im Büro niemanden anstecken wollen. Manchmal fällt es schwer, morgens aus dem Bett zu kommen und das Haus zu verlassen – zum Beispiel bei Depressionen oder Angststörungen. Mit Kaffee und Laptop auf dem Sofa zu arbeiten kann an solchen Tagen eine Alternative sein, um nicht auszufallen.
  • Etabliere Rückzugsräume. Wenn plötzlich alles zu viel wird, bleibt oft nur die Toilette für eine kurze Flucht aus dem Großraumbüro. Dort ist es eng, dunkel und stinkt nach den Hinterlassenschaften des Vorgängers – nicht unbedingt der ideale Ort zum Runterkommen, oder? Ideal wären mehrere kleine Räume, in die sich Mitarbeiter*innen bei Bedarf allein oder mit der Lieblingskollegin zurückziehen können. Nach einer halben Stunde geht es wieder und die Arbeit kann weitergehen – besser, als sich nach Hause zu entschuldigen und einen halben Tag zu fehlen.
  • Schaffe Bewusstsein. Wenn dein Personal weiß, was psychische Erkrankungen sind und wie es damit im Arbeitsalltag umgehen soll, vermeidest du Diskriminierung und Gerede. Dazu gibt es Schulungen, die sich speziell mit seelischer Gesundheit am Arbeitsplatz beschäftigen.
  • Sorge für eine offene, wertschätzende Atmosphäre. Zeige deinen Mitarbeiter*innen, dass sie an ihrem Arbeitsplatz sie selbst sein dürfen. Positioniere dich offen zum Thema Mental Health und kommuniziere, wie in deinem Unternehmen damit umgegangen wird. Wer sich wohl und angenommen fühlt, fällt automatisch seltener aus.

Was Angestellte und Selbstständige tun können

Klar, als Selbstständige bist du freier – du bestimmst, wann, wie viel und wo du arbeitest. Aber auch Angestellte können darauf achten, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen und zu erfüllen. Ob sie offen darüber kommunizieren oder „geheime“ Strategien entwickeln, hängt davon ab, wie die Arbeitgebenden zu seelischen Problemen stehen…

Wenn du selbst nicht betroffen bist, kannst du deinen Kolleg*innen deutlich machen, dass sie mit dir offen über ihre Erkrankung sprechen können. Oder du stößt hilfreiche Projekte an oder gehst dazwischen, wenn du von Anfeindungen oder Mobbing Wind bekommst.

Meine Top-Tipps für betroffene Selbstständige

  • Achte auf dich. Nur weil sich andere im Internet mit ihren 80 Wochenstunden profilieren, musst du nicht 200 % geben. Du weißt, wie sich seelische Überforderung anfühlt und kannst das Burnout vermeiden!
  • Du musst niemandem etwas beweisen. Dass du mindestens genauso gut oder sogar besser bist als gesunde Selbstständige, zeigen deine Leistungen ganz von selbst. Du brauchst dich nicht unter Wert zu verkaufen oder Zusatzleistungen zu geben, um deine Probleme zu entschuldigen, obwohl sie deine Arbeit vielleicht gar nicht einschränken.
  • Plane mehr Zeit ein. Du weißt, dass du immer mal einen schlechten Tag hast, an dem du nichts zustande bringst? Plane vor Deadlines von Anfang an etwas mehr Zeit ein, damit du den Auftrag trotzdem rechtzeitig fertigbekommst.
  • Wenn du merkst, dass du für ein Projekt zu wenig Zeit hast, sprich frühzeitig mit dem*der Auftraggeber*in. Meistens lässt sich da noch irgendwas machen. Du kannst auch mit einer anderen Selbstständigen zusammenarbeiten, die in solchen Fällen für dich einspringen kann.
  • Gönne dir Pausen. Vielleicht hast du weniger Energie als eine psychisch gesunde Person. Das ist in Ordnung. Mach lieber bei den ersten Anzeichen von Überforderung einen Tag frei als bis zur Krise durchzupowern.
  • Du entscheidest, wie viel du von dir preisgibst. #MentalHealth ist gerade Trend. Das heißt aber nicht, dass du online einen Seelen-Striptease hinlegen musst, wenn du das nicht möchtest. Offenheit über deine psychische Erkrankung kann dich mit Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zusammenbringen. Aber du kannst auch angefeindet werden. Es ist deine Psyche, dein Leben und deine Entscheidung, ob, was und wie viel du davon preisgibst.

Welche Erfahrungen hast du mit Mental Health im Job?

Lass uns über seelische Gesundheit sprechen! Meine Tipps basieren vor allem auf meinen persönlichen Erfahrungen und Ideen zu diesem Thema. Was denkst du als Unternehmer*in oder Personalverantwortliche*r? Würdest du offen seelisch eingeschränkte Menschen einstellen?

Welche Erfahrungen hast du als nichtbetroffene*r Angestellte*r mit psychischen Erkrankungen gemacht? War das schon einmal Thema in deinem Berufsleben? Und wie gehst du als Betroffene*r im Job mit deinen psychischen Problemen um? Was würdest du dir von Unternehmen wünschen?

Bitte schreibe deine Meinung in die Kommentare! Du kannst auch einen anonymen Kommentar abgeben oder mir eine private Nachricht schreiben. Mich interessiert, was du zu sagen hast und ich wünsche mir eine wertschätzende Diskussion zum Thema!

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