Rechtschreibung kritisieren in sozialen Medien? Nein, danke!


„Lern erstmal richtig Deutsch!“ oder „Mit der Rechtschreibung nehm’ ich dich sowieso schonmal nicht ernst!“ – solche und ähnliche Kommentare sind in sozialen Medien wie Facebookgruppen oder Instagram-Beiträgen immer wieder zu sehen. Und sie machen mich richtig sauer!

Denn das ist genau das Gegenteil einer wertschätzenden Diskussion. Die Kommentierenden lenken vom eigentlichen Thema ab und suchen sich irgendeinen Schwachpunkt, auf den sie einschlagen können. Dieses Verhalten ist nicht nur herablassend, sondern kann auch diskriminieren. Mal abgesehen davon, dass du sowieso niemanden beleidigen solltest: In diesem Artikel möchte ich dir einige Gründe zeigen, aus denen du die Rechtschreibung deiner Mitmenschen im Internet nicht kritisieren solltest.

Für Profis ganz schwer zu ertragen: Rechtschreib- und Grammatikfehler

Zugegeben: Gerade für uns Texter*innen und Lektor*innen ist es nicht immer einfach, sprachliche Fehler unkommentiert zu lassen. Das ist einfach eine Berufskrankheit – jedes überflüssige Komma, jeder falsch platzierte Buchstabe lässt uns zusammenzucken

Ja, auch ich habe schon ungefragt meine Meinung zur Rechtschreibung anderer Menschen abgegeben oder mir zumindest meinen Teil gedacht. Bei mir ist das zwar kein bewusster Hate gewesen, sondern durchaus gutgemeint. Trotzdem finde ich manche meiner Aussagen heute ziemlich daneben. 

Hätte ich früher „Es heißt ‚als‘ und nicht ‚wie‘!“ gebrüllt, konzentriere ich mich inzwischen lieber auf den Inhalt des Gesagten. So wie beim Sprechen ist es doch auch in der Kommentarspalte von sozialen Medien: Wir wollen miteinander über alltägliche Dinge kommunizieren, eine Meinung abgeben oder unsere Gefühle ausdrücken. Das ist ein Teil unseres Alltags – kein Roman, kein Bewerbungsschreiben und schon gar keine Abschlussprüfung! Hauptsache, wir verstehen uns.

Warum nicht jede*r gut schreiben kann – und das in Ordnung ist

Wenn du online die Rechtschreibung eines Mitmenschen kritisierst, dann weißt du nie, was das bei der Person auslöst. Vielleicht war sie nur nachlässig. Möglicherweise hat sie aber auch eine Lese-Rechtschreib-Schwäche und wurde dafür in der Schule jahrelang gemobbt! Es ist bestimmt kein schönes Gefühl, daran erinnert zu werden.

Also frag dich immer: Was steckt dahinter? Es gibt tausend Gründe, warum Rechtschreibung und Grammatik nicht die Stärke jedes Menschen sind. Hier sind einige davon:

  • Schnell geschrieben: In sozialen Medien wird viel und schnell kommentiert. Die wenigsten nehmen sich die Zeit, vor dem Senden alles noch einmal durchzulesen.
  • Autokorrektur: Wir alle kennen diese lästigen, bisweilen aber auch ganz lustigen Schreibfehler, die allein von der Autokorrektur verursacht werden. Und da immer mehr Menschen mobil auf Facebook und Co. unterwegs sind, häufen sie sich.
  • Nichterstsprachler*in: Vielleicht kann dein Gegenüber wirklich noch nicht so gut Deutsch, weil es die Sprache gerade erst lernt. Wie geht dir das, wenn du versuchst, auf Englisch zu schreiben? Und die deutsche Rechtschreibung hat noch so einige Tücken mehr!
  • Legasthenie: Die Lese-Rechtschreib-Schwäche betrifft etwa 4 % der Schüler*innen in Deutschland. Betroffene können nichts dafür, dass Ihnen Rechtschreibung und Grammatik nicht gelingen wollen. Dasselbe gilt auch für andere Lernbehinderungen.
  • Analphabet*in: Über 6 Millionen Menschen in Deutschland sind Analphabet*innen. Die meisten von ihnen können zwar einzelne Wörter oder Sätze lesen, doch keine zusammenhängenden Texte. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit dem Schreiben.
  • Andere Prioritäten: Nicht jede*r war in der Schule gut in Deutsch. Manche Menschen haben einfach andere Prioritäten. Außerdem: Wofür gibt es sonst Lektor*innen? Sogar viele Bestsellerautor*innen sind schlecht in Rechtschreibung und Grammatik – vielleicht, weil sie sich lieber auf die Geschichte konzentrieren.

Diskriminierungsfrei diskutieren

Du siehst also: Schlechte Rechtschreibung heißt überhaupt nicht automatisch, dass dein Gesprächspartner ahnungslos, nicht ernst zu nehmen oder deiner nicht würdig ist. Vielleicht ist er dir inhaltlich sogar weit überlegen. Also nimm dich und deine Kommas mal zurück und hör einfach zu!

Was im Internet immer geht, wenn dir die Meinung einer Nutzerin nicht gefällt: Weiterscrollen. Wenn du aber wirklich an einer ernsthaften Diskussion interessiert bist, dann bleibe beim Inhalt. Kommentare zu Rechtschreibung und Grammatik sind unsachlich und eher ein Zeichen dafür, dass du nicht weiterweißt oder die andere Person eigentlich recht hat… Sei eine gute Verliererin und gib vielleicht einfach mal zu, dass du dich geirrt hast. 


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Als Texterin oder Lektor sensibel auf Fehler hinweisen

Jetzt aber nochmal im Ernst: Natürlich haben gute Rechtschreibung und Grammatik ihre Vorteile. Fehler lenken vom Inhalt ab. Und ein eher schlecht als recht geschriebener Text ist vielleicht für Freund*innen und Bekannte verständlich, nicht aber für einen größeren Kreis von Adressat*innen. Als Unternehmer*in, im Beruf oder im Studium ist es daher hilfreich, mal einen Profi drüberschauen zu lassen.

Doch was machst du, wenn du Texter*in bist, einfach nur helfen willst, dir aber nicht sicher bist, was dein Gegenüber davon hält?

  • Achte auf den Kontext: Fragt jemand nach Feedback zu einem Bewerbungstext? Oder geht es gerade um ein ganz anderes Thema, das mit Lesen und Schreiben überhaupt nichts zu tun hat? Darauf mit „Boah, deine Rechtschreibung geht ja gar nicht, buch mal ein Lektorat bei mir!“ zu reagieren, ist unhöflich. Beim Bewerbungstext kannst du deine Leistungen aber gerne freundlich anbieten und so vielleicht weiterhelfen.
  • Passe den richtigen Moment ab: Ob auf der Party mit mehreren Leuten in der Runde oder in einem Kommentar unter einem Social-Media-Beitrag – bloßgestellt zu werden fühlt sich nie gut an. Sprich lieber allein mit der Person oder schreibe ihr eine private Nachricht.
  • Falle nicht mit der Tür ins Haus: Vor allem, wenn es sich um eine fremde Person aus dem Internet handelt, solltest du die Füße stillhalten! Bevor du ihre Rechtschreibung kritisierst, erzähl doch erstmal ganz unverbindlich, was du beruflich machst. Wenn sich dein Gegenüber seiner Rechtschreibprobleme bewusst ist, fragt es vielleicht von selbst nach!

Rechtschreibung kritisieren im Internet? Nein, danke!

Mit Rechtschreib-Hate umgehen – Tipps für Community-Manager*innen

Besonders schlimm finde ich es, wenn Community-Manger*innen im Namen von Unternehmen mit Kommentaren zur Rechtschreibung auf User*innen-Beiträge antworten. Bitte lasst das! Aber auch, wenn du die Kommentare auf deiner Facebook-Seite moderierst, begegnen dir vielleicht wilde Auseinandersetzungen mit unsachlicher Kritik an der Schreibfähigkeit einiger Nutzer*innen. Wie kann man damit umgehen?

So wie du wahrscheinlich keine rassistischen oder sexistischen Äußerungen tolerierst, solltest du auch Diskriminierung aufgrund der Rechtschreibung und Grammatik nicht einfach hinnehmen. Mache deutlich, dass nicht alle Menschen dieselben Fähigkeiten haben und diesbezügliche Hate-Kommentare gelöscht bzw. die entsprechenden User*innen blockiert werden können. Wenn du die Zeit hast, kläre gerne auf, warum Kommentare zur Rechtschreibung kritisch sind, wenn sie nichts mit dem Kontext zu tun haben. Oder verlinke einfach diesen Artikel.

Wie ist das bei dir? Hast du schonmal Hate aufgrund deiner Schreibfähigkeit bekommen? Oder hast du vielleicht wie ich schonmal ungefragt die Rechtschreibung oder Grammatik einer anderen Person berichtigt? Schreib’s in die Kommentare! Keine Angst: Ich lege großen Wert auf eine wertschätzende Diskussion, in der verschiedene Meinungen vertreten werden dürfen. Kein Mensch ist perfekt. Aber wir alle haben die Möglichkeit, unser Denken und Handeln zu hinterfragen