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11 Punkte, die du über Leichte Sprache wissen solltest

11 Punkte über Leichte Sprache

Zuletzt geändert am 12. März 2021

Dies ist ein Gastartikel von Leichte-Sprache-Expertin Andrea Halbritter. Sie gewährt uns einen spannenden Einblick in ihre Arbeit und erklärt, was es mit Leichter und Einfacher Sprache eigentlich auf sich hat. Wenn du Fragen zum Thema an Andrea hast, schreib sie gerne in die Kommentare!

Du hast schon immer mal wieder etwas von Leichter Sprache gehört, weißt aber nicht, worum es sich dabei genau handelt? In diesem Artikel erfährst du,

  • was Leichte Sprache genau ist;
  • wann und für wen Leichte Sprache entwickelt wurde;
  • worin der Unterschied zu Einfacher Sprache besteht;
  • wie du einen Übersetzer bzw. eine Übersetzerin in Leichte Sprache findest

1. Leichte Sprache ist eine starke Vereinfachung des Deutschen

Leichte Sprache ist eine starke Vereinfachung des Deutschen. Texte werden so auch für Menschen lesbar und verständlich, die aufgrund einer Einschränkung keinen Zugang zum Standarddeutschen haben. Zur sprachlichen Vereinfachung kommt eine optische Gestaltung hinzu, die Lesbarkeit und Textverständnis weiter erleichtert. So müssen Texte in Leichter Sprache beispielsweise illustriert werden und über eine bestimmte Schriftgröße verfügen.

2. Leichte Sprache ist aus einer Selbstbestimmungsbewegung entstanden

Leichte Sprache hat sich aus einer Selbstbestimmungsbewegung entwickelt, die 1968 in Schweden einsetzte und sich dann rasch in den USA verbreitete. Systematische Kriterien für die Verständlichkeit englischer Texte wurden schon ab den 1920er-Jahren erstellt. In Deutschland arbeitete man ab 1997 im Rahmen des Projekts Wir vertreten uns selbst! an einem Konzept für Leichte Sprache.

3. Das Regelwerk für Leichte Sprache wurde ab 2006 entwickelt

Das Regelwerk für Leichte Sprache wurde ab 2006 vom Netzwerk Leichte Sprache entwickelt und 2014 vom deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Form einer Broschüre herausgegeben. Dabei handelt es sich um ein aus der Praxis entstandenes Regelwerk.

Regeln zur Leichten Sprache enthält auch die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetzt (BITV) in ihrer Fassung vom September 2011. Sie bietet die Grundlage für jede barrierefreie Website.

Seit kurzem werden die vom Netzwerk Leichte Sprache erstellten Regeln durch wissenschaftliche Studien überprüft. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein! Genaueres zur Entstehung der Leichten Sprache erfährst du in meinem Artikel Wie kam es zu Leichter Sprache?

4. Leichte Sprache hat eine breite Nutzergruppe

Bei der primären Zielgruppe Leichter Sprache handelt es sich um Menschen mit einer geistigen Behinderung. Weitere Nutzergruppen sind Menschen, die im Zusammenhang mit einer Erkrankung (z. B. Parkinson-Erkrankung, Hirntumor, Alzheimer-Erkrankung) zeitweise oder dauerhaft über reduzierte intellektuelle Fähigkeiten verfügen. Hinzu kommen funktionale Analphabeten und Menschen mit Sprachstörungen (Aphasien). Nützlich sein kann Leichte Sprache auch für prälingual Gehörlose sowie für Migranten mit geringen Deutschkenntnissen.

5. Leichte Sprache ermöglicht Teilhabe und erhöht die Autonomie

Leichte Sprache hilft Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft nicht in der Lage sind, sich mithilfe von standardsprachlichen Texten Informationen zu beschaffen. Texte, die auf Standarddeutsch verfasst sind, halten für die in Punkt 4 erwähnten Menschen in der Regel große Sprachbarrieren bereit. Durch Leichte Sprache können diese Barrieren überwunden werden, sodass Teilhabe stattfinden kann. Mit Leichter Sprache kann sich (fast) jeder selbstständig informieren, auch Menschen mit einer mittelgradigen geistigen Behinderung.

6. Leichte Sprache muss nicht schön sein

Viele Menschen lehnen Leichte-Sprache-Texte ab, weil sie sie nicht als „schön“ empfinden. Das Ziel Leichter Sprache ist es jedoch nicht, ästhetisch zu sein. Wichtig ist, dass sie für die Zielgruppe verständlich ist. Wie Menschen, die nicht zur primären Zielgruppe oder zu anderen Nutzergruppen gehören, Leichte Sprache empfinden, ist nicht relevant. Schließlich wurde Leichte Sprache auch nicht für sie gemacht.

7. Leichte Sprache verzichtet auf bestimmte Strukturen

Dass Leichte Sprache von Menschen, die des Standarddeutschen mächtig sind, als unschön empfunden wird, liegt unter anderem daran, dass sie auf bestimmte Strukturen verzichtet. Hierzu gehören zum Beispiel Passivkonstruktionen und Genitive. Welche Strukturen in Leichter und übrigens auch in Einfacher Sprache noch tabu sein sollten, erfährst du in meinem Artikel 5 Strukturen, die in Leichter Sprache nichts verloren haben.

8. Die Inhalte werden in Leichte-Sprache-Texten reduziert

Leichte Sprache greift in die Struktur der Sätze ein und verwendet nur leichte Wörter. Mit diesem Konzept geht jedoch auch eine Reduzierung der Inhalte einher. Dies hat folgende Gründe: Die Hauptzielgruppe Leichter Sprache benötigt wesentlich mehr Erklärungen als andere Leser. Zusammenhänge müssen zum Beispiel explizit erläutert und manchmal muss auch die Aussprache von Wörtern angegeben werden. Überträgt man einen Text in Standarddeutsch komplett in Leichte Sprache, ist daher, was die Textlänge betrifft, in der Regel mit einem Faktor 5 oder 6 zu rechnen. Übersetzt man zehn Seiten in Leichte Sprache, wäre man ohne eine inhaltliche Reduktion bei 50 oder 60 Seiten, was für viele Nutzergruppen (sicher nicht für alle!) zu einer Überforderung führen würde. Heißt: Leichte Sprache muss sich auf das Wesentliche beschränken.

Solltest du die Übersetzung eines Textes in Leichte Sprache in Auftrag geben, klärst du daher am besten vorab mit deinem Übersetzer bzw. deiner Übersetzerin ab, was für dich wichtig ist und was weggelassen werden kann.

9. Der Begriff Leichte Sprache ist nicht geschützt

Selbst wenn es für Leichte Sprache Regeln gibt und derzeit auch eine DIN-Norm erarbeitet wird, ist der Begriff Leichte Sprache nicht geschützt. Viele Texte, die von sich behaupten, in Leichter Sprache verfasst zu sein, sind nicht unbedingt leicht verständlich. Oft enthalten sie Sätze, die zu lang sind, oder Konstruktionen, die von der Hauptzielgruppe nicht verstanden werden. Oft werden Einfache und Leichte Sprache auch verwechselt.

10. Gute Übersetzer für Leichte Sprache sind selten

Einen Übersetzer oder Texter für Leichte Sprache zu finden, der dir wirklich barrierefreie Texte liefert, kann durchaus „tricky“ sein. Achten solltest du bei der Auswahl zum Beispiel auf seine Ausbildung und auf sein Spezialgebiet. Weitere Tipps, wie du zu hochwertigen Leichte-Sprache-Texten kommst, findest du hier.

11. Leichte Sprache ist leichter verständlich als Einfache Sprache

Leichte Sprache ist die am besten verständliche Form des Deutschen. Sie ist einfacher als Einfache Sprache. Im Gegensatz zu Leichter Sprache gibt es für Einfache Sprache kein genau festgelegtes Regelwerk. Sie existiert in unterschiedlichen Stufen der Vereinfachung und passt sich der jeweiligen Zielgruppe an. Mehr über die Unterschiede zwischen Einfacher und Leichter Sprache erfährst du in meinem Artikel Was ist der Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache?

Beispiele für Leichte Sprache

Du möchtest sehen, wie Leichte Sprache aussehen kann? Hier sind ein paar Beispiele:

  • Standarddeutsch: Nächste Woche wird der Heimbeirat gewählt.
  • Leichte Sprache: Wir wählen nächste Woche den Heim-Beirat.
  • Standarddeutsch: Peters Schwester ist nicht gesund.
  • Leichte Sprache: Die Schwester von Peter ist krank.
  • Standarddeutsch: Die Antragsfrist endet am 01.01.2021.
  • Leichte Sprache: Schicken Sie uns Ihren Antrag.
    Dafür haben Sie bis zum 1. Januar 2021 Zeit.
    Danach ist es zu spät.

(Zusätzlich müsste noch erläutert werden, wie der Antrag geschickt werden soll: per E-Mail, per Post, an welche Adresse …)

Lust auf mehr Leichte Sprache? Auf meiner Website findest du sogar ein Gedicht in Leichter Sprache.

Porträt von Andrea Halbritter

Andrea Halbritter ist Texterin und Übersetzerin für Leichte sowie für stark vereinfachte Einfache Sprache. Mit der Verständlichkeit von Texten beschäftigt sie sich bereits seit ihres Germanistikstudiums an der Universität Augsburg in den 1990er-Jahren. Vom Netzwerk Leichte Sprache ist sie seit 2009 zertifiziert und fertigt überwiegend Texte für Politiker, Museen und Gedenkstätten an.

 

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